Schwarzes Schaf Kriminalroman by Nigel McCrery

Autor:Nigel McCrery [McCrery, Nigel]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783426435885
Herausgeber: Knaur e-books
veröffentlicht: 2015-05-03T16:00:00+00:00

10.

Carl erwachte und erstickte einen Aufschrei, den Handrücken gegen den Mund gepresst. Licht von der Straßenbeleuchtung draußen wurde von Regenpfützen auf den Gehsteigen und im Rinnstein zurückgeworfen und tüpfelte seine Zimmerdecke mit einem unsteten Schein.

Im Schlafzimmer nebenan schnaufte sein Vater, dann wälzte er sich im Bett herum und fing an zu schnarchen.

Er erinnerte sich nur noch an kurze Bruchstücke des Traums. Tiere, ganz vertrocknet und staubig, die Augenhöhlen schwarze, leere Löcher, huschten über die Bettdecke auf ihn zu. Sie hielten seine Arme und Beine fest, umwanden sie mit Draht und bogen ihn in eine schmerzhafte Pose, dann sahen sie vom Rand des Zimmers aus zu, wie er gegen die Drahtfesseln ankämpfte und das Blut dort aus den Wunden sickerte, wo die scharfen Enden in sein Fleisch schnitten.

Schließlich stand er auf und machte sich Frühstück: zwei Scheiben Toast mit dünn daraufgekratzter Margarine und ein wenig Erdnussbutter. Es war noch früh, doch er schüttete für seinen Vater Frühstücksflocken in eine Schale und schaltete den Wasserkessel an, für eine Tasse Tee.

Viel Appetit hatte er nicht mehr. Er aß, um bei Kräften zu bleiben, doch es machte ihm keine Freude, und er schmeckte das Essen kaum. Es war Treibstoff, sonst nichts. Er wusste auch, warum. Damals, als seine Mutter und sein Vater noch zusammen gewesen waren, vor dem Unfall, hatte er manchmal heimlich in die Fachbücher seiner Mutter geschaut und in die forensischen Berichte, die sie mit nach Hause gebracht hatte, um sie zu lesen. Die Dinge, die dort abgebildet waren, hatten dafür gesorgt, dass ihm das Essen tagelang vergangen war. Noch immer zog sich ihm der Magen zusammen, wenn sie unverhofft in seinen Gedanken auftauchten wie ein verfaulter Baumstamm in einem Teich. Er erinnerte sich noch an das Foto eines Mannes, der Selbstmord begangen hatte, indem er sich eine Pistole in den Mund geschoben und abgedrückt hatte. Sein Kopf hatte ausgesehen, als wäre er oben geborsten und an den Seiten auseinandergedrückt worden wie eine zerquetschte Melone. Die Augäpfel waren durch die Druckwelle des Schusses geplatzt und eingesunken; Flüssigkeit war auf die Wangen des Toten gelaufen. Dieses Bild hatte ihn ein ganzes Schuljahr lang heimgesucht. Es hatte Momente auf Partys gegeben, auf denen er sich ordentlich zugesoffen hatte und gerade eng umschlungen mit einem Mädchen tanzte, wenn diese Fotografien urplötzlich in seinem Verstand auftauchten und er nach draußen stürzen musste, um sich zu übergeben. Und dann die Fotos diverser irakischer Selbstmordattentäter. Seine Mutter hatte das Verteidigungsministerium dabei beraten, Profile solcher Attentäter zu erstellen, und einige der Bilder, die man ihr geschickt hatte, zeigten, was bei den Explosionen mit den Männern passierte. Eines, das wusste er noch, hatte Kopf und Schultern eines Mannes gezeigt, vom Rest des Körpers abgetrennt; die verkohlte Haut war aufgeplatzt wie ein Puzzle und ließ rohes, rotes Fleisch darunter erkennen. Ein Arm hing schlaff herab, der andere war im Gelenk abgerissen. Dieses Foto hatte ihn monatelang verfolgt.

Oder vielleicht lag es an der Krankheit, dass er keinen Hunger hatte, die Schrunden an den Händen und das häufige Verlangen, seine Blase zu entleeren. Er musste sich einen Termin beim Arzt besorgen.

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